von Wolfgang Teipel
Die besten Tage unseres Lebens – das war für viele Lüdenscheider die Zeit von 1960 bis 1980. Bands schossen aus dem Boden, überall war was los. Es war die Ära der Rockkonzerte in der Schützenhalle und die Epoche, in der Stadtjugendpfleger Gottfried „Gotti“ Schumann mit jungen Leuten Europa bereiste. Kinder rebellierten gegen die Eltern. Das gesellschaftliche und kulturelle Leben in der Bundesrepublik Deutschland veränderte sich nachhaltig. „Die besten Tage unseres Lebens“ – das ist auch der Titel eines Buches von Dietmar Simon und Michael Nürenberg.
Wie es damals war
Es ist der Jugendkultur in Lüdenscheid vom Anfang der 60er bis zum Ende der 70er Jahre gewidmet. „Es verfolgt keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern will möglichst viele interessierte Menschen erreichen, sowohl diejenigen, die in den Jahren um 1970 Jugendliche waren als auch ihre Nachkommen, die wissen möchten, wie es damals war“, heißt es in einem Exposé zu dem 288 Seiten starken Band. Der Titel ist aus dem Bryan-Adams-Song „Summer of ‘69“ entnommen.
Nach rund dreijähriger Recherche stellen die beiden Autoren das Buch (Herausgeber ist der Geschichts- und Heimatverein Lüdenscheid) in der Stadtbücherei (Freitag, 29. November, ab 16 Uhr) der Öffentlichkeit vor.
Fast 1000 Fotos und andere Bilder
Dietmar Simon und Michael Nürenberg haben die lokale Presse und andere schriftliche Quellen aus dieser Zeit ausgewertet. Sie haben einige Dutzend von Zeitzeugen befragt. Diese Frauen und Männer berichten über ihre Erlebnisse und Erfahrungen aus den besten Tagen ihres Lebens. Dazu gibt es jede Menge Anschauungsmaterial. Das Buch enthält fast 1000 Fotos und andere Bilder. „Schon mit dem ersten Aufruf 2010 haben wir eine Lawine losgetreten“, erinnert sich Michael Nürenberg.
Tausende beeinflusst
Die Autoren orientieren sich an der Dienstzeit von Stadtjugendpfleger Gottfried Schumann. Er sorgte von 1965 bis 1976 maßgeblich dafür, dass sich die örtliche Jugendkultur stark entwickelte und Tausende junger Menschen davon beeinflusst wurden.
Große Bedeutung hatte die neue populäre Musik. In Lüdenscheid entwickelte sich zusätzlich zur bestehenden Jazzszene starkes Interesse an der Beatkultur. Oft argwöhnisch betrachtet von den Erwachsenen, fanden sich Jugendliche zu „Beatbällen“ zusammen, gründeten eigene Bands und verbrachten ihre Freizeit mit dieser Musik und ihren Begleiterscheinungen. Um 1970 entwickelte sich dies zur Kultur der Rockmusik weiter.
Zentrum der Beat- und Rockmusik
Lüdenscheid wurde zu einem Zentrum der Beat- und Rockmusik in Westdeutschland. Bis 1970 war die Stadt Schauplatz von Auftritten internationaler Bands wie den „Kinks“, den „Equals“ und „Shocking Blue“ (und deutscher Gruppen wie den „Lords“ und den „Rattles“). In den Jahren danach folgten zahllose Gastspiele von namhaften Vertretern der progressiveren Rockmusik (z. B. „Deep Purple“, „Eloy“, „Can“, „Ekseption“). Erst Mitte der 70er Jahre verlagerten sich die Veranstaltungsorte bekannter Musiker in die größeren Städte. Parallel dazu entwickelte sich die einheimische Musikszene.
Das neue Terrain neben der sogenannten Hochkultur enthielt auch anderes. So wurde Lüdenscheid 1968 auf Schumanns Initiative zum Schauplatz eines „Europäischen Jugendfestivals“. Es stellte einen gewissen Kontrapunkt zur 700-Jahr-Feier der Stadt Lüdenscheid dar. Im „Studio 19“, einem neuen Musiklokal, blieben junge Leute weitgehend unter sich.
Jugend aktiver als je zuvor
Schumann organisierte Reisen in andere europäische Länder, nach England, in die Tschechoslowakei, nach Rumänien, Jugoslawien und Spanien. Auch die Veränderungen der politischen Alltagskultur gingen an Lüdenscheid nicht vorbei. 1968 bildete sich auch hier eine „APO“. In der Schule und im öffentlichen Leben wurden junge Leute aktiver als jezuvor.
Kommunalpolitik kritisch
Die Arbeit von Gottfried Schumann zog Jugendliche und junge Erwachsene stark an. Die Kommunalpolitik entwickelte allerdings in der ersten Hälfte der 70er Jahre eine kritische Haltung. Jugendpflege sollte mehr sein als nur die Veranstaltung von Konzerten und Reisen. Dazu kam Schumanns unbürokratische Art. Sie führte zu Widerständen in der städtischen Verwaltung. „Gotti“ zog sich schließlich zu Beginn des Jahres 1977 aus dem Amt zurück. Das war das Aus für „die besten Tage unseres Lebens“.
Die Zeit nach der Ära Schumann wird übereinstimmend als eine Phase des Niedergangs der Jugendkultur in Lüdenscheid beschrieben.
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